Ö1/ORF: »Selfstorage. Verdauungsapparate für die Konsumgesellschaft«

von: Martina Frühwirth

»Das rote Gebäude am Gaudenzdorfer Gürtel lässt sich auf den ersten Blick nicht eindeutig zuordnen. Ist das ein Hotel? Eines dieser günstigen Low-Budget-Hotels? Der Vergleich mit einem Hotel ist gar nicht so weit hergeholt, denn Selfstorage ist ein Hotel für Dinge, ein Lagerhaus. Möglichst zentral gelegen sollen diese Lagerhäuser sein, an einem stark frequentierten Standort.

Im Unterschied zu modrigen Kellerabteilen, die oft schwer zugänglich sind, sind Selfstorage-Abteile trocken und barrierefrei zugänglich. Beim Kundenparkplatz stehen Transportwägen bereit, mit dem Lift fährt man hinauf zum Abteil.

Im Gebäudeinneren überrascht die rigide Gestaltung: monotone weiße Wellblechgänge, blaue Türen, die je nach Auslastung mit oder ohne Vorhängeschloss ausgestattet sind. Aus den Lautsprechern plätschert Musik. Die Chancen sind hoch, dass man in dem riesigen Haus niemandem begegnet. Die Ausstattung des Abteils – ob Kartons oder Regale – obliegt dem einzelnen Mieter. Bei der Übergabe erhält man ein leeres Abteil mit Wellblechwänden. SelfStorage – der Name ist Programm.

Bis unter die Decke vollgeräumt

“Manche kommen hierher und stellen Karton auf Karton auf Karton, wenn die was von unten brauchen, ist das ein Problem. Ich habe diesen fast sechs Quadratmeter großen Raum mit Stellagen, die ich selbst zusammengebaut hab, die eine Tiefe von 60cm haben, wirklich praktisch eingerichtet”, sagt die 80-jährige Pensionistin Elisabeth.

Elisabeth schätzt den Komfort, den ihr das Lagerabteil bietet. Ursprünglich als Notlösung gedacht, lagert Elisabeth heute Dinge, die in der Wohnung im Weg wären. In den Stellagen von Elisabeths Abteil liegen feinsäuberlich geschlichtet Plastiktaschen mit Winter- und Sommerkleidern, Strohhüte und Dirndln.

Wer ein Selfstorage Abteil mietet, muss räumlich denken. Das optimal genutzte Abteil ist bis zur Decke vollgeräumt. Aus einem Quadratmeter werden so fast drei Kubikmeter. Die Faustformel für Möbel lautet 1:10. Für die Möbel einer 80 Quadratmeter großen Wohnung braucht man ein acht Quadratmeter großes Abteil.

Erst lagern, dann ausmustern

Am Platz sparen rechnet sich hier, denn günstig ist Selfstorage nicht. Sechs Quadratmeter kosten 100 Euro im Monat. Ganz hinten im Abteil stehen ein paar Kartons, die Elisabeth ein schlechtes Gewissen machen: “Ich glaube immer noch daran, dass ich eines Tages stundenweise im Lagerraum sitzen werde und zum Beispiel diese Kartons ausmiste, worin sich gemischte schriftliche Dokumente befinden, die man nicht ungesehen wegwerfen kann.”

Wegwerfen. Das Wort, das nicht nur Elisabeth in diesem Zusammenhang sehr schwer über die Lippen kommt.

“Es ist unmöglich, Dinge direkt, auch wenn man sie nicht mehr braucht, zu Müll zu machen; das heißt, Sie brauchen einen Transitraum, eine Schleuse für Dinge, wo man sich langsam von denen trennen kann, weil es den wenigsten Leuten gelingt, etwas unmittelbar loszulassen”, sagt die Philosophin Petra Beck. Sie hat für ihre Diplomarbeit über mehrere Jahre Selfstorage erforscht.

“Am Anfang stand ich vor diesen Häusern und habe mich tatsächlich gewundert, wie absurd das ist. Riesige Häuser für Dinge in den Städten zu bauen! Wer braucht das und wer benutzt das? Es sind Verdauungsapparate der Konsumgesellschaft. Wenn man ein bisschen genauer hinsieht und mit den Leuten spricht, die das benutzen, dann steckt Biografie in den Dingen”, sagt Petra Beck.

In unseren Städten fehlt der Stauraum

In Österreich und Deutschland steigt die Nachfrage nach Selfstorage. Mit Konsumgewohnheiten alleine lässt sich der Trend nicht erklären: “Zum Beispiel in München Giesing wurde fast ein ganzer Stadtteil ohne Unterkellerung gebaut – einfach aus Kostengründen. Das heißt, die Leute haben schon keinen Keller mehr für Dinge, die Dachböden gibt es schon seit 20 Jahren kaum noch in deutschen Großstädten, die sind alle ausgebaut zu hübschen Dachgeschoßwohnungen. Es gibt immer weniger Ding-Räume, es gibt einen konkreten Platzbedarf”, sagt Petra Beck.

Die meisten Nutzer mieten ein Abteil für die Übersiedlung und lagern ihre Möbel für ein paar Monate ein. Aus den geplanten drei Monaten werden schnell acht oder zehn und manchmal wird aus dem temporären Abteil eine fixe Größe.

Praxis mit Zukunft

Die zukünftige imaginäre Wohnung, in der man ein Möbelstück brauchen kann, das künftige Landhaus, wo man das Gmundner Geschirr verwenden wird, die Wohngemeinschaft, wo die Tochter die Waschmaschine brauchen wird – von solchen Überlegungen lebt Selfstorage.

Selbsthilfebücher wie “Simplify Your Life” verteufeln die Dinge, die nicht unmittelbar genutzt werden. Möbel werden zu Gerümpel, das uns belastet. Selfstorage trotzt dieser Ideologie, sehr zum Gefallen von Petra Beck: “Lagern ist eine Praxis, die an Zukunft glaubt, das ist das Schöne.”

Gestaltung: Martina Frühwirth
Sendung vom Samstag, 09. Februar 2013, 17:05«

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