von: Matthias Christler
Gemietete Abteile als Lagerflächen boomen, weil Stauraum zuhause immer teurer wird und der Mensch gleichzeitig mehr Dinge besitzt. Zu Besuch in den Hallen, die voll mit Geschichten sind.
Innsbruck – Die Lagerräume sehen von außen alle gleich aus: anonym, mit einem Vorhängeschloss versperrt, das einmal golden, einmal rot und einmal silbern ist. Dahinter aber, dort sind Kartons gestapelt und in diesen die unterschiedlichsten Lebensgeschichten verstaut. Immer öfter lagern vor allem Stadtbewohner ihre Besitztümer, für die sie in den Stauräumen daheim keinen Platz haben, in anmietbare Flächen aus.
In der Innsbrucker Rossau stehen sechs Hallen als Mietlager zur Verfügung, Marcel und Doris Ostermann bauten vor zwölf Jahren mit einer Halle und 100 Boxen ihr Unternehmen „DeineLagerBox“ auf. Von einer Weltreise heimgekehrt, übertrugen sie das in Nordamerika schon seit 100 Jahren bekannte Konzept auf Tirol. „In ganz Österreich hat es bis auf einen Anbieter in Wien damals noch nichts gegeben“, erinnert sich Marcel Ostermann. Aus der einen Halle mit 100 Boxen sind sechs Hallen mit 1000 Boxen und 10.000 Quadratmetern Fläche geworden, eine weitere Halle ist in Planung.
Warum das Geschäft mit den Mietlagern boomt, hat aus der Sicht der Betreiber drei Gründe. Erstens: „Weil der Wohnraum bei uns so teuer ist, wird so viel wie möglich genutzt, und es bleibt kein Stauraum übrig. Dachböden werden zu Wohnungen umgebaut und in neuen Wohnhäusern gibt es manchmal nicht einmal mehr einen Keller“, spricht er bauliche Veränderungen an.
Zweitens werden Brandschutzbestimmungen strenger kontrolliert: „Früher konnte man Brennholz und Kohle in der Garage lagern und in Hochhäusern das Stiegenhaus vollstellen. Wenn es jetzt bei einer Adresse eine Kontrolle gibt, haben wir gleich mehrere Kunden von dort bei uns.“ Und drittens hat sich der Lifestyle verändert. „Die Konsumgesellschaft hilft unserem Geschäft natürlich“, gibt Doris Ostermann zu. Die Gesellschaft ist außerdem mobiler als früher und man übersiedelt öfters. Jetzt im Herbst, wenn wieder Tausende Studenten in Innsbruck eine Wohnung suchen und manche davon nicht sofort eine finden, steigt die Nachfrage nach vorübergehenden Lagerflächen. Scheidungen, Trennungen und Todesfälle sind weitere Lebenslagen, in denen man sich auf den Weg in die Hallen in der Rossau macht. „Auch Obdachlose kommen zu uns. Dann sagen wir aber gleich, dass die Räume nicht als Übernachtung gedacht sind“, stellt Doris Ostermann klar.
60 Prozent der Lagerboxen, die in der Regel zwischen zwei und zwölf Quadratmetern groß sind und im kleinsten Ausmaß 30 Euro pro Quadratmeter kosten, werden privat genutzt, der Rest gewerblich. In vielen Fällen wissen die Ostermanns nicht, was sich hinter den verschlossenen Türen verbirgt, ob ein Obdachloser seinen Plunder reinstellt oder ein Millionär teure Weinflaschen. Oder ein Krimineller dort etwas versteckt – wie man es aus Serien wie „Breaking Bad“ kennt, wo Drogengeld im „Selfstorage“ gebunkert wird. Ja, das passierte so ähnlich in Innsbruck, verrät Marcel Ostermann. „Ein junger Kerl, der wegen schweren Betrugs verurteilt wurde, hat Falschgeld und Drogen deponiert. Ein anderer hat sich die Drogen direkt hierherschicken lassen.“ Bei solchen Fällen kooperiere man natürlich mit der Polizei, sagen die Betreiber von „DeineLagerBox“.
Das sind Ausnahmen, und die meisten Anfragen werden im Frühjahr kommen, wenn die Leute anfangen auszumisten, aber sich doch nicht trennen können. Geht es den Menschen finanziell schlecht, werfen sie weniger weg. Und geht es ihnen gut, kaufen sie wieder mehr ein. So häufen sich automatisch Dinge an. Über das Phänomen hat Petra Beck, Europäische Ethnologin und Kulturanthropologin an der Humboldt Universität zu Berlin, ihre Magisterarbeit „Restopia. Selfstorage als urbane Praxis“ (restopia.info) verfasst, und sie kommt zu dem Urteil, dass die Menschen so viel Dinge wie noch nie zuvor in der Geschichte besitzen. „Dinge konkurrieren mehr und mehr mit Menschen um ihre Räume, und die Menschen sind der Flut der Dinge kaum noch gewachsen“, beschreibt sie den auch von den Ostermanns erwähnten Lifestyle.
Man hat keinen Platz, will etwas loswerden, aber dann doch nicht ganz. Beck nennt Mietlager Orte der „Ent-Sorgung, die eine Distanz schafft zwischen den Dingen und ihren Besitzern“. Selfstorage sei ein Wirtschaftszweig, der von einer erhöhten Beschleunigung in allen Lebensbereichen, von veränderten Lebensstilen und auch von Einschnitten in Biographien profitiere. Ihr Fazit: „Häuser für Dinge sind dabei die konsequente Fortsetzung der Konsumgesellschaft.“
http://www.tt.com/lebensart/13402659-92/ein-lager-f%C3%BCr-alle-lebenslagen.csp
Artikel als pdf:
Ein Lager für alle Lebenslagen – Ein Lager für alle Lebenslagen – Tiroler Tageszeitung – 07.09.17 – PDF