von: Maya McKechneay
In den letzten Jahrzehnten haben auch in Österreich immer mehr knallbunte Gebäude eröffnet, in denen ausschließlich Objekte eingemietet sind. Unter dem Titel „Wo Dinge wohnen – Das Phänomen Selfstorage“ widmet das Wien Museum diesen Mietlagern nun eine Ausstellung. ORF.at hat vorab bei Ethnologin Petra Beck nachgefragt, was solche „Dingräume“ über ihre Besitzer erzählen.
Foto: Klaus Pichler, Wien Museum
„Als Ethnografin versuche ich immer wieder, meinen Blick fremd zu machen und mir vorzustellen, was ein Außenstehender über so eine Praktik denken würde: eine Stadt, in deren Mitte Häuser für Dinge stehen“, sagt Beck. Vor acht Jahren begann die Berliner Ethnologin und Kulturanthropologin, das Phänomen Selfstorage zu erforschen. Damals habe sie noch einen sehr negativen Blick darauf gehabt und geglaubt, eine „Sackgasse des Kapitalismus“ vor sich zu sehen, nämlich „Leute, die so viele Sachen besitzen, dass sie nicht mehr damit leben können“.
Doch die Gespräche mit Mieterinnen und Mietern von Abteilen hätten ihre Haltung verändert, ihr sei „viel Poetisches“ begegnet und sie habe einiges über den Tod und das langsame Loslassen erfahren. Becks Feldstudien führten sie unter anderem in 14 verschiedene Selfstorage-Häuser in München und Berlin, in denen sie forschte und auch „jobbte“, um mit Kunden ins Gespräch zu kommen. Die so entstandene Magisterarbeit „Restopia. Selfstorage als urbane Praxis“ wurde 2013 mit dem Georg-Simmel-Preis für Stadtforschung ausgezeichnet.
Während der Recherche traf Beck etwa eine Mutter, die die persönlichen Gegenstände und den Hausrat ihres toten Sohnes eingelagert hatte. Oder einen demenzkranken Mann, der bei der Übersiedlung ins Pflegeheim persönliche Gegenstände ins Selfstorage-Abteil gebracht hatte und nun regelmäßig auf einem Stuhl vor den Sachen saß, um sich zu erinnern. Sie traf Menschen, die Sommer- und Wintergarderobe ordentlich in ihre Abteile schlichteten, aber auch Messies, die selbst nicht mehr wussten, was zuunterst lag.
Drei Quadratmeter ab 48 Euro
Bei privaten Nutzern ist oft weniger die praktische Erwägung ausschlaggebend bei der Entscheidung, sich einen Lagerraum zu mieten, als der gefühlte Wunsch, Dinge auch dann zu behalten, wenn im Alltag kein Platz mehr für sie ist. Die Kosten-Nutzen-Rechnung geht bei solchen Überlegungen nicht immer auf, kommt doch ein Drei-Quadratmeter-Abteil in Wien – je nach Anbieter, Lage und Laufzeit – auf 48 bis 99 Euro pro Monat. Hier würde vermutlich jener Mieter draufzahlen, in dessen Abteil Beck unter anderem ein altes, schlecht funktionierendes Faxgerät fand, das dieser mit der Begründung behielt, auch das neu gekaufte würde ja irgendwann kaputtgehen.
Wirtschaftlicher denken vermutlich gewerbliche Mieter von Selfstorage-Flächen. Im Fall von Storebox machen sie rund ein Viertel der Kunden aus, wie Ferdinand Dietrich, einer der Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens, auf Nachfrage von ORF.at erklärt. Besitzer kleinerer Geschäfte nutzen etwa Selfstorage-Angebote, um Nachbestellungen einzulagern. Hier greift das Angebot von Storebox, das 2016 als Start-up („StoreMe“) gegründet wurde und im Jahr darauf in Wien seine ersten beiden Filialen eröffnete.
Storebox wird als Franchise-Unternehmen – seit Oktober 2018 mit finanzkräftiger Beteiligung der Signa – geführt und hat inzwischen Niederlassungen in Deutschland, Österreich und in Kürze auch in der Schweiz. In Wien verfügt das Unternehmen über 6.500 Quadratmeter Fläche, verteilt auf 31 Filialen, die im Vergleich zu anderen Anbietern eher klein sind, dafür aber engmaschig in der Innenstadt verteilt. Das Storebox-System funktioniert rein digital: Die Mieter buchen im Internet und erhalten einen Zugangscode fürs eigene Abteil. Angestellte, die überprüfen, wer welche Objekte einlagert, gibt es im Normalfall nicht.
In den USA seit den 60ern
Der englische Begriff „self storage“ meint so viel wie „selbst einlagern“. Die ersten Selfstorage-Einheiten entstanden in den 60er Jahren im Westen der USA. Ende der 90er Jahre eröffnete die österreichische Firma MyPlace den ersten Selfstorage-Standort am Stadtrand von Wien.
Heute betreut MyPlace, mittlerweile Marktführer im deutschsprachigen Raum, 46 Standorte in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Rund 15 weitere Anbieter, darunter das ebenfalls österreichische Unternehmen StoreBox, machen ihm in der Hauptstadt Konkurrenz. Laut Wien Museum beträgt die Selfstorage-Lagerfläche in Wien derzeit rund 95.000 Quadratmeter.
Übernachten verboten
Die Anonymität von Selfstorage-Räumen sorgt übrigens immer wieder dafür, dass Verbotenes oder Gefährliches eingelagert wird. Beck erinnert sich, dass vor dem ersten Attentat auf das World Trade Center, 1993, der Sprengstoff in einem Selfstorage-Lager untergebracht war – ein Extremfall missbräuchlicher Verwendung. Häufiger kommt es vor, dass wohnungslose Menschen versuchen, in Abteilen zu übernachten: „In einem US-Blogforum von Selfstorage-Betreibern habe ich gelesen, dass das häufig passiert. Die Leute haben dort kein Licht und keine Toiletten. Man kann sich vorstellen, was die naheliegenden Probleme sind: Die Leute zünden eine Kerze an, es beginnt zu brennen, und sie kommen nicht mehr raus.“
Dingfläche versus Wohnfläche
Aber tragen die Selfstorage-Häuser mitten in der Stadt nicht ganz konkret zur Wohnungsnot bei – indem sie potenzielle Wohnfläche vom Markt nehmen? „Die Betreiber argumentieren oft, dass ihre Standorte zum Wohnen sowieso nicht optimal sind: zu viel Verkehr, zu viele Lkws, die vorbeifahren. Oft wird an Kreuzungen gebaut. Darum, und auch weil es noch nicht so viele Selfstorage-Häuser gibt, hört man wenig Protest aus der Mieterbewegung“, erklärt Beck, deren Heimatstadt Berlin an sich für wehrhafte Mieterproteste bekannt ist.
Auch in Wien liegt das rot leuchtende Flagship-Gebäude des Betreibers MyPlace im lärmenden Verkehr des Gaudenzdorfer Gürtels. Von rechts strömt der Einfallsverkehr der Westautobahn dazu. Allerdings: Andere Lager mit kleinerer Fläche sind in Wien durchaus in Räumen untergebracht, die zum Wohnen geeignet wären – und die durch diese, für den Eigentümer lukrativere Nutzung vom Markt genommen sind.
Stadtwechsel, Beziehungswechsel, immer mehr Besitz
Der Bedarf an Selfstorage-Räumen werde jedenfalls noch steigen, vermutet Beck, denn: „Der Mietmarkt verschärft sich zusehends. Und es gibt heute weniger Dingräume in der Architektur: keine Speisekammern, weniger Keller. Die Dachböden sind ausgebaut. Gleichzeitig besitzen die Leute mehr. Alles beschleunigt sich, es gibt häufige Stadtwechsel und Beziehungswechsel.“ Da erweist sich der angehäufte Hausrat oft als weniger mobil als dessen Besitzerin oder Besitzer. Beck ist vor Kurzem übrigens selbst umgezogen – zum ersten Mal in 20 Jahren. Ein Selfstorage-Abteil hat sie dennoch nicht gemietet. Denn im Gegensatz zu vielen anderen, die sie interviewt hat, hat sie Glück: „Ich habe zu Hause genug Platz für meine Sachen.“
Links:
- Wo Dinge wohnen (Wien Museum)
- Aufsatz zum Thema von Petra Beck (Aufsatz von Petra Beck)
- Diskussionsveranstaltung mit Petra Beck (Wien Museum)
Nachzulesen unter: https://orf.at/stories/3111366/