von: Till Briegleb
Eine Ausstellung im Deutschen Architekturzentrum Berlin beschäftigt sich mit Freeports und ihren weniger glamourösen Pendants: den Self-Storage-Silos.
KUNSTMARKT
Kunst ist schon ein Schauplatz merkwürdiger Allianzen. Und zwar besonders dann, wenn das große Geld sich rebellischer Geister bedient, um an Würde zu gewinnen. So gestaltete der portugiesische Street-Art-Künstler Vhils das Foyer des Luxemburger “Freeports”. Das ist ein Ort, den außer Sicherheitsleuten nur Menschen betreten, die mehr Privatvermögen besitzen als ein durchschnittliches afrikanisches Land an Bruttoinlandsprodukt.
Vielfache Milliardäre also, die hier Ausnahmekunst bunkern, aber auch teuerste Weine, Schmuck, Gold, Autos und Datenträger, und die nach dem Sicherheitscheck im Foyer von einem raumhohen Relief mit drei Köpfen begrüßt werden – dessen Stil laut dem Künstler inspiriert ist von sozialistischen Wandbildern der portugiesischen Nelkenrevolution.
So wie Goya die Verwerflichkeiten der spanischen Gesellschaft in satirischer Anschaulichkeit festhielt, während er gleichzeitig deren Oberhäupter in strahlendem Glanz porträtierte, so zeigt auch Vhils große Elastizität im Überbrücken moralischer Gräben. Denn die Tresoranlage auf dem Luxemburger Flugplatz, die bis zu 300 Quadratmeter große und über sechs Meter hohe Schließfächer parat hält, ist symbolisch betrachtet eine Bastille der Kulturgüter. Wie in den anderen Kunstdepots des skandalumwitterten Eliten-Dienstleisters Yves Bouvier in Genf und Singapur, verschwindet hier Weltkultur zum Zweck des Privatgenusses – und zwar steuerfrei.
Der 2014 eröffnete Komplex hinter Nato-Draht beinhaltet sogar einen Showroom, in dem Kunden sich ihre Leonardos, Picassos und Basquiats bei einem perfekt temperierten Glas Château Lafite-Rothschild allein oder mit Freunden betrachten können. Wegen dieser symbolischen Wucht aus Glamour, Gier und Zynismus steht der Sesam des Kunstmarkts sicherlich im Zentrum der Ausstellung “Architecture of Storage”, die im Deutschen Architektur Zentrum Berlin zu sehen ist. Drei Interviewfilme bilden das Rückgrat dieser Schau, die dokumentarisches Material zur Lagerung von Werten verbindet mit Kunstwerken zum Thema.
Preisen in dem ersten Video Architekt und Manager des 50 Millionen Euro teuren Luxemburger Zollfreilagers die funktionalen, ästhetischen und finanziellen Vorteile dieses Kunstbunkers mit Luftcargo-Anschluss, so beleuchten die anderen Filme die Sicherung weniger exklusiver Kulturgüter.
Der britische Künstler Liam Gillick erzählt, wie er die Neugestaltung des Archivs des Bard Hessel Museums in New York in eine künstlerische Konzeptarbeit verwandelt hat. Er ging aus von der Beobachtung, dass der Begriff “Transparenz” sowohl bei Informationsspeichern wie in der Architektur zu einem Fetisch geworden ist. Transparenter Zugriff wird durch viel Glas oder Mark Zuckerberg suggeriert, obwohl er meist gar nicht besteht. Als Reaktion darauf hat Gillick einen hermetisch wirkenden Raum entworfen, eine Art Kunstklause in direkter Nachbarschaft zu den Materialien des Instituts. Konzentrierte und persönliche Kommunikation und schneller Zugang zu den Originalen wird so befördert. Also echte, statt vorgespiegelte Transparenz.
Und schließlich widmet sich der Faktenteil dieser Ausstellung auch dem Phänomen der Self-Storage-Anlagen, speziell des größten Anbieters in Deutschland, “My Place”. Dessen Betonsilos sind zwar sehr scheußlich, haben aber hohen Nutzen für Menschen an den Wegbiegungen des Schicksals. Im Englischen spricht man von den vier “Ds”, die den expandierenden Markt der Lagerhäuser befeuern: “death”, “divorce”, “downsize” und “dislocation”, also Tod, Scheidung, Verkleinerung oder Umzug. Für wenig Geld speichern diese Anlagen das Bedeutungsvolle des gewöhnlichen Bürgers, das er plötzlich nicht mehr selbst verstauen kann.
Obwohl diese Lagerwürfel auch innen die Grazie eines Heizungskellers ausstrahlen, öffnen sich hinter den blauen Stahltüren oft bizarre private Zauberwelten. Die Ethnologin Petra Beck nennt diese ausgelagerten Ersatzdachböden “Restopia” und zeigt in ihrem Beitrag Detailansichten von diesem Hausrat der zweiten Reihe.
Dazu hat sie viele Besitzerinnen und Besitzer über ihre Motive befragt. Von der Frau, die feststellen musste, dass ihr Kleiderschrank keinen Keller hat, bis zum Mann, der sich einen Arbeitsplatz vor seinem Abteil eingerichtet hat, um den Nachlass seiner Eltern zu sortieren, liefert die Schatztruhe viele Geschichten: über den individuellen Wert von Dingen, aber auch über die Kultur der Aufbewahrung einer Gesellschaft, die so gerne besitzt.
Die Künstlerarbeiten, die von den Ausstellungsmachern Elisa Linn und Lennart Wolff ergänzt wurden, behandeln dann den Wunsch nach Eigentum und Verwahrung fast durchgängig eher sarkastisch. John Kelsey malt Aquarelle im Stil von Landschaftsimpressionen, nur dass seine Motive die banalen Rechtecke der Datencenter von Google, Facebook und Apple zeigen, in denen all die sinnlosen Posts verflüchtigter Ereignisse für alle Zeiten aufbewahrt sind.
Der finnische Fotograf Martti Kalliala entwirft eine Designzukunft im Stile von Interior-Magazinen, wo Menschen ihre Wohnungen kuratieren – mit begehrenswerten Objekten vom Grcic-Möbel bis zur Angora-Katze in der Farbe des Sofas -, dort aber gar nicht mehr wohnen. Und Alice Creischer zeigt unter anderem eine schamanistische Reise zu dem Saatgut-Tresor auf Spitzbergen, der garantieren soll, dass nach der Zerstörung der Welt durch den Menschen wenigstens das Erbgut aller Nutzpflanzen erhalten bleibt – auch wenn die überlebenden Kakerlaken das Sicherheitstor niemals aufbekommen.
Es geht in dieser Ausstellung also vornehmlich um das Absurde in unserem Hang zum Horten. Dass die Supersuper-Reichen tatsächlich zu einer Sichtbetonanlage am Rande eines Flugfelds reisen, wenn sie ihre Kunstbeute ansehen oder ihren Rotwein mit fünfstelligem Preisschild trinken wollen, nur damit sie die Steuer umgehen, die fällig wird, wenn sie ihr Zeugs mit nach Hause nehmen.
Oder dass arme Schlucker Sachen im Lagerhaus stapeln, obwohl sie sich die Miete gar nicht leisten können, sodass die Sachen nach drei Monaten zwangsversteigert werden – das Thema der US-Doku-Soap “Storage Wars”, die außer beim Darts-und-Busen-Sender Sport 1 auch in der Ausstellung zu sehen ist. Pfennigfuchser im Goldrausch prahlen nach den Auktionen jeweils damit, wie viele “Picassos” sie in dem spottbillig erworbenen Garageninhalt gefunden haben.
Die Allianz von Kunst und Markt treibt also eine Menge bizarrer Blüten an ihren Rastplätzen für Arme und Reiche. Und wenn man in dieser Ausstellung genau hinsieht, dann fällt schnell auf, dass sich die psychologischen Muster zwischen “Freeport” und “My Place” strukturell nicht so groß unterscheiden. Es geht um den persönlichen Schatz.
Architecture of Storage. Deutsches Architektur Zentrum, Berlin. Bis 20. Mai 2018.
Kunstbunker am Ende der Rollbahn: der Luxemburger Freeport.(Foto: Atelier d’Architecture 3bm3)
Süddeutsche Zeitung, 05.05.2018, Ausgabe Deutschland, S. 18
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